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Archiv für den Monat Oktober 2012

«iSlaves wollen nicht länger in den sauren Apfel beissen – Neue ArbeiterInnenunruhen in Chinas Foxconn-Fabriken»

«Wir stehen vor den Hühnern auf, gehen nach den Hunden schlafen und essen schlechter als die Schweine» Sprichwort bei Foxconn

In Chinas Fabriken brodelt es: Am Abend des 23. September 2012 brach bei Foxconn in Taiyuan ein Riot aus. 2000 ArbeiterInnen waren beteiligt, Tausende schauten zu, 40 wurden verletzt. Die Beteiligten schmissen Schaufenster ein, entzündeten Feuer auf der Strasse, warfen Polizeifahrzeuge um und zerstörten Firmenzäune. 5000 Polizisten konnten die Situation erst in den frühen Morgenstunden unter Kontrolle bringen. Nach Angaben von ArbeiterInnen begann der Riot, als der Werkschutz in einem Wohnheim in einen Streit eingriff und Leute verprügelte. Die Methoden des Werkschutzes sind Teil des paramilitärischen Führungsstils Foxconns.

Was ist Foxconn?

Foxconn ist ein gigantisches Unternehmen: Es beschäftigt in China über eine Million Menschen und produziert Elektronikprodukte wie das neue iPhone 5. Der Arbeitsdruck in den Fabriken ist enorm hoch, die Arbeit monoton und die Schichten sind lang, 10 bis 13 Stunden im Schnitt. Um die schicken Teile wie iPads und iPhones in Rekordzeit herzustellen, lässt Foxconn Leute aus anderen Regionen und Fabriken mit vielfach falschen Versprechungen herkarren. Dafür lässt die Regierung auch mal die Uni aussetzen, um zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen.

Die ArbeiterInnen wehren sich immer öfters gegen Arbeitshetze und die Diskriminierungen. Leider bekommen wir in Europa viel zu selten etwas davon mit. Ein ähnliches Ereignis, das weltweites Presseecho erreicht hat, ist der Streik am 5. Oktober bei Foxconn in Zhengzhou. In den Tagen vorher hatte eine Welle von Kundenbeschwerden in den USA und anderswo über Kratzer auf der Rückseite des iPhone 5 zu einer Anhebung der Qualitätsstandards in den Foxconn-Fabriken geführt. Die ArbeiterInnen wurden aber nicht entsprechend geschult. Der Streik brach aus, nachdem ArbeiterInnen und QualitätskontrolleurInnen in Streit geraten waren, was zu Verletzten und der Zerstörung eines Kontrollraums führte. Nachdem das Management Beschwerden der QualitätskontrolleurInnen ignoriert hatte, traten diese in den Streik. Mehrere Produktionslinien für das iPhone 5 waren den ganzen Tag blockiert. Insgesamt beteiligten sich 3000 bis 4000 Leute. Foxconn wies später alle Berichte zurück und leugnete den Streik.

Soziale Kämpfe in China – und bei Foxconn

Schon nach der Selbstmordserie von 2010, als fast 20 ArbeiterInnen innerhalb eines Jahres von Fabrikgebäuden in den Tod sprangen, waren Foxconn und Apple unter Druck geraten. Foxconn hatte danach an den Gebäuden Sicherheitsnetze installiert und die Löhne erhöht. ArbeiterInnen berichten allerdings, dass auch die Arbeitsgeschwindigkeit erhöht wurde und die Zahl der nicht entlohnten Überstunden zunahm. Die ArbeiterInnen verlangten von Apple, die Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben zu verbessern. Mehr als ein paar Studien hat Apple – laut Börse das wertvollste Unternehmen aller Zeiten – nicht angestrengt. Die neue Generation der chinesischen WanderarbeiterInnen erwartet Verbesserungen, erlebt aber fortgesetzte Ausbeutung und Diskriminierung. Die ArbeiterInnen wissen, dass Apple hohe Profite mit den Produkten macht, die sie herstellen, während ihre Bedingungen weiterhin mies sind; und sie wissen, dass ArbeiterInnen in den Streik treten oder sich an Riots beteiligen. Sie haben in den letzten Jahren ständig auf höhere Löhne gedrängt. Gleichzeitig blieb die Fluktuation in den Fabriken hoch. Die ArbeiterInnen stellen sich die Frage, ob sie «einfach gehen» oder «bleiben und kämpfen» sollen. Es sieht so aus, als wählten sie nun öfter die zweite Option – auch bei Foxconn.

Von den Kämpfen lernen

Während bei uns der Tenor herrscht, eher zu ducken und Verschlechterungen im Arbeits- und Lebensalltag zu akzeptieren, scheint sich die Situation in China grundlegend zu verändern. Dies hat uns dazu bewogen, die sozialen Kämpfe in China zu thematisieren, um damit auch über unsere eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen nachzudenken. Denn die ArbeiterInnen in China beweisen, dass Verbesserungen nicht durch Verzicht und Anpassung erreicht werden, sondern durch kollektive Kämpfe. Die Kratzer im iPhone offenbaren also durchaus tiefere Risse der kapitalistischen Produktionsweise.

Auch Apple-NutzerInnen scheinen sich nun Gedanken zu machen, unter welchen Bedingungen ihre Gadgets hergestellt werden. Einer schrieb auf einem Apple-Blog: «Auch wenn es wahrscheinlich scheinheilig klingt, wenn ich das als Besitzer von Apple-Geräten sage, aber fürs Protokoll: Ich bin nicht für Sklaverei!»

Lieber User, dann bewege deinen Arsch!

BUCHHINWEIS: PUN NGAI ET AL. ISLAVES. AUSBEUTUNG UND WIDERSTAND IN CHINAS FOXCONN-FABRIKEN. HERAUSGEGEBEN UND ÜBERSETZT VON RALF RUCKUS. DAS BUCH WIRD ANFANG 2013 IN DER REIHE «KRITIK&UTOPIE» DES MANDELBAU-VERLAGS ERSCHEINEN.

 

Seit März 2011 protestierten im Zuge des «arabischen Frühlings» hunderttausend SyrerInnen gegen das diktatorische Regime von Bachar el-Assad. Die Proteste wurden zusehends in die Logik des Krieges gezogen, in deren Folge 27 000 Menschen getötet wurden und über 1,5 Millionen ihre Heimat verlassen mussten 

Im vorwärts Nr. 31/32 wurden zwei Texte zu den Geschehnissen in Syrien abgedruckt. Es handelt sich einerseits um die Position der Partei der Arbeit Schweiz (PdAS), andererseits um den von der Kommunistischen Jugend (KJ) lancierte «Appell für Frieden in Syrien!» Wir werden in diesem Beitrag eine Replik zu diesen zwei Positionen formulieren. Diese Diskussion bekommt in Anbetracht eines Aufrufs von SyrerInnen und politischen Organisationen zu einer «Solidaritätsdemonstration mit der syrischen Bevölkerung» eine konkrete Dimension.

Die Situation in Syrien

Die Gründe für den Aufstand der SyrerInnen liegen in einer spezifischen gesellschaftlichen und politischen Situation des Landes. Bachar el-Assad ist im Jahre 2000 als Nachfolger seines verstorbenen Vaters an die Macht gekommen. Er hat die neoliberalen Gegenreformen, die schon Mitte der 1990er Jahren eingeläutet wurden, drastisch akzentuiert. Die Folgen waren frappant: Eine neue korrupte Allianz zwischen Besitzenden sowohl aus dem privaten wie auch aus dem staatlichen Sektor um die Baath-Partei dominierten die öffentlichen Strukturen. Minimale Wohlfahrtsprogramme, wie beispielsweise die Subventionen für Nahrungsmittel, wurden rapide abgebaut. Die Verarmungswelle traf insbesondere die Bauern, die in die Städte flüchteten.

Schon damals kam eine neue Generation von laizistischen Opponenten des Regimes auf. Sie organisierte sich, wurde aber schon bald wieder unterdrückt. Durch die Ereignisse in Tunesien und Ägypten 2011 lebte sie wieder auf und organisierte sich erneut. Das war der Ursprung eines Aufstandes, der sich zum Ziel gesetzt hat, Syrien von einer antisozialen und repressiven Herrschaft zu befreien.

Allerdings wurde die soziale Bewegung – deren Zusammensetzung von Anbeginn an sehr heterogen war – nach und nach in einen Konflikt zwischen verschiedene Fraktionen der herrschenden Klasse gezogen. In der heutigen Logik des Krieges scheint es ausserordentlich schwierig, dass sich ein Widerstand mit sozialrevolutionärer Ausrichtung noch formieren könnte. Auf der einen Seite stehen Assad und seine Schergen, die von Iran, Russland und China unterstützt werden, auf der Anderen eine höchst fragmentierte Opposition, die in weiten Teilen wie etwa die «Freie Syrische Armee» auf die Hilfe der Türkei, Saudi-Arabien und Katar zählen können, während im Hintergrund die USA, Grossbritannien und Frankreich mitwirken.

Imperialismus und Antiimperialismus

Wieso ergreifen heute KommunistInnen zumindest implizit Partei für das Assad-Regime? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich die Ideologie des Antiimperialismus genauer anschauen. In der Linken findet oft eine falsche Diskussion zu Imperialismus und Antiimperialismus statt. Diese basiert meist auf ein vereinfachtes Bild der kapitalistischen Verhältnisse. Statt die weltweiten Beziehungen der Nationalstaaten zu einem bestimmten Punkt des kapitalistischen Zyklus zu reflektieren, wird mit vereinfachenden Stadientheorien hantiert. Man greift dabei gerne auf die Imperialismus-Theorie von Lenin zurück. Man muss Lenin dabei allerdings zugutehalten, dass er seine Theorie für die proletarische Emanzipation entwickelte. Diese Dimension geht heute bei den antiimperialistischen Planspielen fast immer verloren.

Rosa Luxemburg kritisierte die Vorstellungen Lenins deutlich. In ihrer Junius-Broschüre wies sie darauf hin, dass der Imperialismus eben nicht bloss die Beherrschung und Ausplünderung von rückständigen Nationen durch mächtige Kapitale ist oder dass es nicht hier einen altersschwachen und dort einen jungen noch progressiven Kapitalismus gebe, sondern dass der Kapitalismus eine weltweite Totalität darstellt. Sie schrieb: «Die imperialistische Politik ist nicht das Werk irgendeines oder einiger Staaten, sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung des Kapitals, eine von Hause aus internationale Erscheinung, ein unteilbares Ganzes, das nur in allen seinen Wechselbeziehungen erkennbar ist und dem sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag.»

Ausgehend von dieser Analyse ist es verfehlt, den Westen als imperialistisch und Teile des Ostens als antiimperialistisch zu bezeichnen, bloss weil diese Länder im internationalen Wettbewerb gegen die Interessen des Westens agieren. Sowohl die internen sozialen Kämpfe wie auch die Interventionen im Ausland zeigen, dass die Regierungen im Iran, in China und in Russland Interessen verfolgen, die ihre kapitalistische Entwicklung ankurbeln und ihrer Position in der internationalen Konkurrenz dienen.

Was heisst das für uns?

Wer sich also aus antiimperialistischer Sicht gegen die Intervention der NATO ausspricht, soll gleichzeitig die realen imperialistischen Interventionen des Irans (Brigaden und «Snipers» im Dienste von Assad) und Russlands (Waffenlieferungen an Assad) in Syrien verurteilen. Gleichzeitig dürfen wir die Prioritäten nicht auf eine einfache Verurteilung von Interventionen setzen – denn die haben auf jeden Fall katastrophale Folgen, unabhängig davon, auf welcher Seite sie passieren. Es muss uns um Formen der Solidarität mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten gehen, denn der Antiimperialismus ist kein Ziel an sich, vielmehr ist er das Ergebnis unserer Unterstützung für die Emanzipation der ProletarierInnen. Entsprechend stellen wir uns nicht auf den Standpunkt dieses oder jenes Nationalstaates oder dieser oder jener Fraktion der herrschenden Klasse, sondern fragen immer konkret nach der Entwicklung und dem internationalen Kräfteverhältnis zwischen den Klassen.

Heute stützt sich die syrische Opposition auf ein breites Netzwerk aus lokalen Komitees und Gruppen, die der Bevölkerung den Zugang zu Nahrungsmitteln, Medikamenten und medizinischer Hilfe zu versichern versuchen. Ohne diese grundlegenden Formen der Selbstorganisation der Bevölkerung wäre angesichts der massiven Militarisierung des Konflikts die humanitäre Katastrophe schon längst vollbracht. Wer diese Kräfte sind und was ihre politische Perspektive ist, das lässt sich in der momentanen Situation aber nur schwer in Erfahrung bringen, zumal sie höchst zersplittert sind und teilweise in direktem Widerspruch zueinander stehen. Als KommunistIn muss man sich aber vielleicht auch die eigene Schwäche eingestehen und sich nicht aufführen wie ein bedeutender Staatsmann, der in der zwischenstaatlichen Konkurrenz etwas zu sagen hätte. Und so gilt es, sich mit den anti-diktatorischen und sozialrevolutionären Kräfte in Syrien – so marginal und isoliert sie zur Zeit auch sein mögen – zu solidarisieren.

erschienen in: vorwärts, die sozialistische Zeitung, 28. September 2012, nr. 35/36, S. 12.